In einer älterwerdenden Gesellschaft steigen mit dem Alter auch die Morbidität und die Pflegebedürftigkeit.
In Deutschland sind aktuell 2,9 Millionen Menschen pflegebedürftig. Ca. 800 000 Menschen werden in Pflegeheimen versorgt:
Ärztliche Pflegeheimversorgung stellt eine große Herausforderung dar. Sie muss aufgrund der Morbidität der hier lebenden Patienten vor Ort im Heim erfolgen. Diagnostische Möglichkeiten sind durch Immobilität, Kommunikationsstörungen oder dementiellen Erkrankungen der Pflegeheimbewohner teilweise erheblich eingeschränkt. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) werden nicht immer als solche erkannt, sondern als Symptom einer weiteren Erkrankung fehlinterpretiert mit der Folge der Eskalation einer evtl. schon vorbestehenden Polypharmazie. Das hier notwendige engmaschige ärztliche Controlling ist im Versorgungsalltag von Pflegeheimen in Deutschland oft nicht realisierbar. Denn 90% der pflegeheimversorgenden Ärzte sind nicht im Heim angestellt, sondern arbeiten in ihren mehr oder weniger weit entfernten Praxen. Bei gesundheitlichen Beschwerden müssen Pflegekräfte versuchen, telefonisch oder per Fax Kontakt zum behandelnden Hausarzt aufzunehmen. Diesen telefonisch in der Praxis zu erreichen, ist oft zeitaufwendig und gelingt nicht immer. Darüber hinaus sind nicht alle Ärzte außerhalb der Sprechzeiten telefonisch erreichbar. Umgekehrt erreichen Ärzte bei einem Rückruf im Pflegeheim dann auch häufig niemanden, da Pflegekräfte mit der Pflege beschäftigt und dabei telefonisch nicht erreichbar sind. Nicht selten ist die zuständige Pflegekraft, die den Patienten gut kennt und richtig Auskunft geben kann, beim Rückruf des Arztes nicht mehr im Dienst.
Informationen sowie diagnostische und therapeutische Anweisungen müssen in unserem Pflegeheimversorgungsalltag nicht nur häufig fernmündlich, sondern auch noch von einer Pflegekraft zur anderen oder in der Praxis von einer Praxismitarbeiterin an den Arzt weitergegeben werden, was zu Informationsverlusten oder Missverständnissen führen und die Patientensicherheit erheblich gefährden kann.
Wenn ein ärztlicher Heimbesuch notwendig ist, kann der oft nicht taggleich realisiert werden. Auch das gefährdet die Patientensicherheit, da notwendige Therapien evtl. zu spät begonnen werden können, was dramatische Krankheitsentwicklungen oder stationäre Einweisung zur Folge haben kann.
Die beschriebene schwierige intersektorale Kommunikation und dadurch nicht optimale ärztlich-pflegerische Zusammenarbeit führt immer wieder dazu, dass Pflegeheimpatienten bei ärztlichem Versorgungsbedarf, auf den im Pflegeheim nicht zeitnah reagiert werden kann, mit der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht werden.
Das belastet nicht nur die betroffenen Patienten erheblich, sondern auch das Gesundheitssystem selbst und verursacht relativ hohe Kosten, die durch eine angemessene hausärztliche Versorgung vermeidbar wären.
1996 wurden in Berlin ca. 40 Krankenhäuser für chronisch Kranke in Pflegeheime umgewandelt und mussten ab diesem Zeitpunkt ihre ärztliche Versorgung selbst organisieren. Entweder musste im Heim selbst ein Arzt eingestellt oder die Kooperation mit einem niedergelassenen Hausarzt gesucht werden. In Berlin Steglitz übernahm damals eine niedergelassene Hausärztin die Betreuung aller 103 multimorbiden Pflegeheimbewohner. Der ärztliche Versorgungsaufwand war allerdings neben einer Hausarztpraxis sowie familiären Interessen mit damals 2 kleinen Kindern für eine einzelne Ärztin viel zu hoch. Vom Pflegeheim war aber die Kooperation mit mehreren Hausärzten nicht gewünscht.
Deshalb wurde nach Einführung digitaler Pflegeheimakten im Jahr 2000 ab 2001 die intersektorale Zusammenarbeit digital unterstützt. Zunächst wurde nur die Kommunikation zwischen der Ärztin und den Pflegekräften über die Nutzung der e-Pflegeakte erleichtert, später wurden dann auch Versorgungsprozesse digital unterstützt optimiert und die Versorgungsqualität mit den Jahren zunehmend verbessert.
Digital vernetzte Zusammenarbeit bedeutet Teamarbeit. Pflegekräfte und die Ärztin führen dazu regelmäßige gemeinsamen Fortbildungen durch und sind auch in Fallkonferenzen oder ethischen Fallbesprechungen im Dialog, um immer wieder gemeinsam die Versorgung der betreuten Pflegeheimpatienten zu diskutieren und zu verbessern.
Entstanden ist über dieses Versorgungsmodell ein multiprofessionelles Team, was seit Jahren sehr befriedigend und erfolgreich zusammenarbeitet. Personalfluktuation sowie Krankenstand sind gering, alle arbeiten gerne und seit bis zu 20 Jahren zusammen. Sie können sich gut aufeinander verlassen, was eine wichtige Voraussetzung für die digitale Zusammenarbeit ist.
In den benutzten digitalen Pflegeheimakten gibt es Informationsmodule u.a. für die Hausärztin und die Pflegekräfte, über die sehr einfach die intersektorale Kommunikation realisiert werden kann:
Das Versorgungsmodell wurde von Frau Dr. Landgraf mit Unterstützung von Prof. Zahn vom GeWINO der AOK positiv evaluiert. Die Ergebnisse finden sich hier:
Dissertation an der Charité Strategien zur
Verbesserung der Versorgungssituation in stationären Pflegeeinrichtungen unter besonderer Berücksichtigung der Arzneimittelversorgung und Arzneimitteltherapiesicherheit von Irmgard Landgraf
Spotlight GeWINO: Vernetzte ärztliche Versorgung im Pflegeheim
Da der stationäre Pflegebedarf in den nächsten Jahren mit der abnehmenden Versorgungskapazität der Familien überproportional steigen wird, brauchen wir dringend bessere Versorgungskonzepte. Diese müssen den zunehmenden Ärzte- und vor allem Pflegekräftemangel berücksichtigen und effizientes sowie ressourcensparendes Arbeiten ermöglichen.
Hier ist die Politik gefordert. Digital unterstützte Versorgungsmodelle, wie das hier vorgestellte, sollten in die Regelversorgung übernommen aber auch angemessen honoriert werden.
// Kontakt
Dr. med. Irmgard Landgraf
Fachärztin für Innere Medizin/Hausärztin
Lehrärztin der Charité für das Fach Allgemeinmedizin
Hausarztpraxis am Agaplesion Bethanien Sophienhaus
Paulsenstraße 5
12163 Berlin
Tel. 030 857 26 877
Fax 030 857 26 876
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